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Schilderwahnsinn Deutschland – Sicherheit oder Schikane?

bd | stvo.de – 28.05.2015
Bildquelle (Header): Toptarif.de

Auf deutschen Straßen fährt es sich relativ sicher, doch immer wieder kommt es zu schweren Unfällen, die 2014 über 3000 Menschen das Leben kosteten. Über 380.000 Menschen wurden verletzt, bei rund 2,4 Millionen Unfällen insgesamt. 

Unfalltote 2014
Quelle: https://www.destatis.de/

 

Wer in Deutschland über Landstraßen, Autobahn und in der Stadt fährt, wird dabei nicht unbedingt alleine gelassen, denn die Hinweisschilder für Geschwindigkeitsbegrenzungen, gefährliche Kurven oder Abschnitte sind zahlreich und oft wirkungsvoll positioniert. Laut ADAC-Umfragen empfindet rund ein Drittel der befragten Autofahrer die Verkehrsschilder in Deutschland als eher störend und vor allem in Großstädten sollten Halteverbotsschilder reduziert werden. Die Autofahrer sehen darin nur eine Möglichkeit der Gemeinden und Städte, Gelder einzunehmen, da die Häufung und Anbringung der Verbotsschilder oft nicht immer eindeutig sei.

Dazu kommt, dass viele Menschen bestimmte Verkehrszeichen gar nicht mehr erkennen oder falsch deuten und dies unter anderem an der großen Anzahl der Verkehrszeichen liege.

 

Die wichtigsten Verkehrszeichen und ihre Bedeutung
Laut § 41 sind die Vorschriftzeichen zwingend zu befolgen. Sie enthalten Ge- und Verbote, die eine besondere Gefährdung bei Missachtung beinhalten, wie beispielsweise die Angabe der Fahrtrichtung, Höchstgeschwindigkeiten oder Überholverbote. In Deutschland gibt es rund 500 verschiedene Verkehrszeichen und bundesweit sind über 20 Millionen Schilder aufgestellt. Obwohl einige Fraktionen der Bundesregierung und viele Bürgerinnen und Bürger auf eine Entschlackung des „Schilderwaldes“ pochen, hat sich jedoch faktisch noch nicht viel geändert. 1992 gab es die Gestaltungsnovelle, welche die Verkehrszeichen moderner und verständlicher machen sollte. Trotzdem wurde die Anzahl der genehmigten Schilder nicht unbedingt reduziert.

Wichtige Abschnitte der Straßenverkehrsordnung zu den Verkehrsschildern:

  • Wartegebote und Haltgebote
  • Vorgeschriebene Fahrtrichtungen und Vorbeifahrt
  • Seitenstreifen, Haltestellen, Taxenstände
  • Sonderwege
  • Verkehrsverbote
  • Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote
  • Halt- und Parkverbote
  • Markierungen

Allein die Anzahl der Abschnitte zeigt, wie verschachtelt das System der Verkehrsschilder in Deutschland ist. Die Markierungen werden von den meisten Autofahrern noch als sinnvoll erachtet, da sie auf der Fahrbahn zu finden sind und als Orientierungshilfen ihren Zweck erfüllen. Die Verkehrsverbote sind mit zahlreichen Zeichen belegt, die viele Autofahrer in den Wahnsinn treiben können, wenn sie sich im Unrecht fühlen, beispielsweise beim Parken oder Be- und Entladen. Experimente mit Alternativen zeigt die Süddeutsche auf, in denen mit Markierungen der Zonen und Verbotsregionen einheitliche Regelungen ohne Schilder geschaffen werden sollten.
Je nach Änderung der Verkehrsgesetze kommen jedoch oft weitere Schilder hinzu, wie beispielsweise die Umweltzonen oder der Zusatz für das erlaubte Fahren für Fahrradfahrer und Inlineskater.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat derweil eine App herausgebracht, welche Kfz-Zeichen erläutert und auch Hilfestellung bei den Verkehrsschildern bieten soll. Hier geht es zu der App.
Während die meisten Zeichen bekannt sind, hört es bei etwas komplexeren Beschreibungen bereits auf. Bei hohen Geschwindigkeiten sind diese Schilder jedoch nicht immer gut zu erkennen und die Reaktion darauf erfolgt meist verzögert oder zu spät. Oft gibt es beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen nur für einen bestimmten Kilometerabschnitt, wie auf vielen Landstraßen und Autobahnen. Das kleine Zusatzschild enthält daneben oft noch weitere Einschränkungen wie „bei Nässe“ oder „bei Glätte“, angezeigt durch eine Schneeflocke. Allerdings muss dies explizit erläutert werden, denn selbst wenn unter der Geschwindigkeitsbegrenzung nur eine Schneeflocke angegeben ist, muss diese Geschwindigkeit eingehalten werden, auch wenn kein Schnee gefallen ist. Das Zusatzschild sollte ein Hinweis auf eine angebrachte Geschwindigkeit bei gefährlichen Situationen darstellen, hat jedoch, wie dieser Artikel erläutert, bereits öfter zu einigen Missverständnissen geführt.
Andere kuriose Sachlagen ergeben sich bei Baustellen, welche oft zusätzliche Verkehrsschilder einfügen, um Stau oder stockenden Verkehr zu vermeiden. So kam zum Beispiel in Weilerswist an einem Bahnübergang das Verkehrszeichen 208 „Dem Gegenverkehr Vorrang einräumen“ zum Einsatz, obwohl es sich dabei eigentlich um eine Einbahnstraße handelte. Durch ein weiteres Schild „Kraftomnibusse im Linienverkehr frei“ sollte Bussen das Einfahren in die Einbahnstraße trotzdem ermöglicht werden. Anstatt die Verkehrsführung anders zu gestalten, gibt es nun zwei zusätzliche Schilder, die für Auswärtige oft nicht verständlich sind.
In diesem Video aus Bremen untersuchen Reporter von Radiobremen den verwirrenden Zustand und Anzahl der Schilder in einigen Stadtteilen:


Obwohl es Verkehrsschilder gibt, die durch Schnee, Bäume oder Schmutz verdeckt werden, müssen die Inhalte beachtet werden, ansonsten drohen Bußgelder, denn schließlich steht das Schild dort zur Orientierung und Verkehrssicherheit. An anderer Stelle fehlt es vor allem Großstädten an Orientierung, wenn die Wegweiser in die falsche Richtung führen oder sich durch Bauarbeiten völlig andere Streckenabschnitte ergeben. Viele Verkehrsteilnehmer greifen mittlerweile überwiegend zum Navigationsgerät, das sie sicher durch die unbekannten Straßen führen soll, wenn es aktualisiert worden ist.

Navigationssystem als Autolenker
Quelle: Statista.com

 

Kuriose Regelungen und fehlende Schilder in anderen Ländern
Bei einem Ausflug oder einer Reise in ein anderes Land fällt den meisten Deutschen die Orientierung erst einmal schwerer, denn obwohl es internationale Richtlinien zu Gefahrenzeichen gibt, sind viele andere Schilder oft nur Einheimischen verständlich. Beim Nachbarn Frankreich gibt es zum Beispiel ebenfalls Piktogramm-Schilder, die durch die EU-Vereinfachung den deutschen Schildern sehr ähnlich sehen. Allerdings bestehen dort auch einige Ausnahmen, wie die Verbotsschilder für Hupen, Handkarren-Fahrzeuge oder die verbreiteten Hinweisschilder für die Maut-Stationen. Frankreich-info.de listet die gängigen Verkehrszeichen auf.

In Großbritannien und Irland herrscht Linksverkehr und deshalb finden sich in London und Dublin auf den Straßen die Hinweise „look left“ oder „look right“, um Fußgänger und ausländische Verkehrsteilnehmer vor der Gefahr zu schützen. Der Kreisverkehr ist selbstverständlich ebenfalls links ausgerichtet und verlangt, dass beim Einbiegen geblinkt wird, im Gegensatz zu Deutschland.

In Ländern außerhalb Europas sieht die Verkehrslage ganz anders aus. In diesem Blogeintrag berichten zum Beispiel Touristinnen von ihren Erlebnissen aus Namibia, bei denen sie entweder an jeder Kreuzung ein Stopp-Schild vorfanden und die Vorfahrt per Zeichen geregelt wurde oder sie sich mit den Verkehrsschildern „Vorsicht Giraffe“ neu orientieren mussten.
In Neuseeland gibt es Zeichen für die zahlreichen Tiere, welche die Straße überqueren könnten, von Pinguinen bis zu Enten. Allerdings gilt in Neuseeland „Rechts vor Links“, obwohl Linksverkehr herrscht. Ein Überholverbot besteht beispielsweise, wenn eine durchgezogene gelbe Linie auf der Fahrbahn vorliegt.
China toppt die Merkwürdigkeiten durch kryptische Piktogramme zu Feuerwerkskörperverboten, verbotenen Handwerkstätigkeiten oder zusätzlich verwirrende Beschriftungen zu eigentlich eindeutigen Verkehrssituationen.
Dass nicht nur der Linksverkehr gewöhnungsbedürftig ist, sondern auch viele andere Verkehrssituationen merkwürdig gestaltet sind, zeigen Erfahrungsberichte aus aller Welt in folgender Infografik:

Dass nicht nur der Linksverkehr gewöhnungsbedürftig ist, sondern auch viele andere Verkehrssituationen merkwürdig gestaltet sind, zeigen Erfahrungsberichte aus aller Welt in folgender Infografik:


Quelle: Toptarif.de

 

Unverständliche und überflüssige Schilder in Deutschland
Laut der Straßenverkehrsordnung müssen alle Verkehrszeichen über einen raschen und beiläufigen Blick erfasst werden können. Mehr als drei Verkehrszeichen an einem Pfosten können von den meisten Verkehrsteilnehmern nicht wirklich wahrgenommen werden. Laut den Paragrafen 39 bis 43 muss die Unterkante des Schildes mindestens zwei Meter über dem Straßenniveau liegen.
In einigen Fällen kann es zwar zu milderen Urteilen bei Irrtümern kommen, wenn mehrere Schilder unverständlich angeordnet sind, doch in der Regel müssen sich die Verkehrsteilnehmer nach den Anweisungen richten. Verwirrung entsteht häufig über die Zusatzschilder, die zum Beispiel unterhalb von Geschwindigkeitsbegrenzungen angebracht sind. Steht dort zusätzlich ein Überholverbotsschild und ein Geltungsschild für Lkw, Omnibusse und Pkw mit Anhänger (1049-13), kann ein Pkw-Fahrer vermeintlich denken, dass die Regelung für ihn nicht gilt.
Bei Geschwindigkeitsbegrenzungen von 80 km/h gibt es auf Autobahnen häufig das Zusatzschild „bei Nässe“. Ist die Geschwindigkeit bei einem Unfall nicht entsprechend angepasst gewesen, kann es zu hohen Bußgeldern kommen. Das absolute Halteverbot ist den meisten Verkehrsteilnehmern geläufig, doch das eingeschränkte Halteverbot kann manchmal Rätsel aufmachen. Besonders der Gültigkeitsrahmen ist für viele nicht leicht zu  verstehen. In der Regel gilt das Schild nur auf der Straßenseite, auf welcher es angebracht ist, bis zur nächsten Straße oder Einmündung. Die weißen Pfeile geben die Richtungen an, von denen aus das Halte- oder Parkverbot gilt.
Eine Besonderheit gibt es im niedersächsischen Bohmte, denn dort wurden die Verkehrszeichen, Ampeln, Zebrastreifen und sogar die Radwege und Bürgersteige quasi „abgeschafft“. Die Verkehrssituation habe sich dadurch deutlich entspannt, denn die Verkehrsteilnehmer kommunizieren wieder miteinander, nehmen Rücksicht und bisher scheint das Experiment zu glücken. Shared Space nennt sich das Projekt, das in vielen Städten außerhalb Deutschlands mittlerweile an der Tagesordnung ist.

Vielleicht tut es dem deutschen Verkehr und den Teilnehmern tatsächlich gut, den Verkehr bewusster wahrzunehmen und sich nicht über unverständliche Verkehrsschilder und falsches Verhalten aufregen zu müssen. In Zukunft wird es sicherlich weitere Diskussionen um überflüssige Schilder geben, die den meisten Autofahrern die Verkehrsteilnahme nicht besonders erleichtern.